Liebe Inayati-Familie,
Hier leite ich Pir Zias Gedanken zu der sich in Gaza ereignenden Tragödie weiter - im Original weiter unten, Übersetzung hier im Text.
In Verbundenheit, Margarethe
26. Februar 2024
Liebe Weggefährtinnen und Weggefährten,
Viele Menschen auf der ganzen Welt sind vom Beispiel von Pirzadi-Shahida Noor inspiriert. Sie sah die Gräuel, die die Nazis an den Juden und anderen Gruppen verübten, und spürte die Notwendigkeit, im Geiste der Sufi-Ritterlichkeit für Gerechtigkeit einzutreten. Sie war bereit, ihr Leben zu opfern, und tat dies auch, indem sie entscheidende Taten vollbrachte, die immensen Mut und Einsatz erforderten.
Auch mein Vater Pir Vilayat hat mutig seinen Dienst angeboten und nur knapp überlebt. Es ist müßig zu erwähnen, dass weder Noor noch mein Vater das deutsche Volk als Feind ansahen; ihr einziges Anliegen war es, sich dem nationalsozialistischen Programm der systematischen Entwürdigung und Zerstörung des Lebens der "Anderen" entgegenzustellen, womit die Nazis in erster Linie die Juden meinten.
In den letzten Jahren seines Lebens sagte mir mein Vater, dass er ein sich wiederholendes Muster sah. Ein jüdischer ethnischer Staat war auf einem Gebiet gegründet worden, das seit langem von Palästinensern bewohnt und kultiviert worden war, die eine Vielfalt aus Muslimen, Christen, Juden und Drusen umfassten. Der Staat Israel erhielt sein Mandat von einem weit entfernten Imperium und ging aus dem Trauma des Holocausts hervor, einer herzzerreißenden Gräueltat von unermesslichem Ausmaß.
Trauma braucht Heilung, und kollektive Heilung erfordert die sorgfältige Arbeit von Generationen. Was einen Heilungsprozess behindert und davon ablenkt, ist, die erlittene Gewalt und Demütigung aufrund der eigenen Wunde zu spiegeln, sie einer anderen Gruppe zuzufügen und auf diese Weise den Kreislauf fortzusetzen.
Mein Vater war zutiefst besorgt darüber, dass dies im Heiligen Land geschah, wo die Palästinenser zu den geächteten "Anderen" auf den Ländereien wurden, die sie über lange Generationen hinweg friedlich bewirtschaftet hatten. Auf den Zweiten Weltkrieg zurückblickend, fragte er mich rhetorisch: " Ist es dies, wofür wir (Noor und ich) gekämpft haben?"
Wohlgemerkt, mein Vater hatte immer große Achtung vor dem jüdischen Volk, seiner Religion und seiner Kultur - wie vor allen Völkern der Welt. Er liebte es, das hebräische Lied "Hashi Venu“ (https://pirzia.org/pir-vilayat-singing-sacred-songs/) zu singen, und er hörte "Kol Nidre" in tiefer Meditation.
Die Gespräche, in denen mein Vater mir gegenüber seine tiefe Besorgnis über die Notlage der Palästinenser zum Ausdruck brachte, fanden lange vor der immensen Verwüstung statt, die jetzt geschieht - er verließ diese Welt vor fast zwanzig Jahren. Was würde mein Vater jetzt sagen? Was würde Noor sagen?
Ich kann nur sagen, was ich sehe. Nach dem Holocaust versprach die Welt: "Nie wieder". Nie wieder muss heißen: Nie wieder für irgendwen. Jedes Volk hat seine Rechte verdient, und wenn ganze Reihen von Wohnvierteln in Schutt und Asche gesprengt werden, ist es an der Zeit anzuerkennen, dass sich entsetzliche alte Muster wiederholen, und es ist an der Zeit - und längst überfällig - zu sagen: Diese grausame Zerstörung, diese massenhafte Vernichtung schönen, gottgegebenen Lebens kann nicht der Weg in eine Zukunft sein, die irgendjemand sich wünscht. Sie ist das Gegenteil von Heilung.
Stellen Sie sich eine Welt von wahrhaftig verkörperter universeller Geschwisterlichkeit auf unserem ganzen Planeten vor. Sie kann schon morgen beginnen, wenn wir alle es wollen.
Immer der Ihrige,
Pir Zia

Margarethe Hubauer
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Anfang der weitergeleiteten Nachricht:
Von: Pir Zia Inayat Khan <astana@inayatiyya.org>
Betreff: A Reflection on the Tragedy Unfolding in Gaza
Datum: 27. Februar 2024 um 14:21:47 MEZ
An: Margarethe Hubauer <hu.farmer@margarethe.de>
Antwort an: Pir Zia Inayat Khan <astana@inayatiyya.org>
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26 February 2024
Dear Companions on the Path,
Many people throughout the world are inspired by the example of Pirzadi-Shahida Noor. She saw the horrors perpetrated by the Nazis against the Jews, as well as other groups, and felt the need to stand for justice in the spirit of Sufi chivalry. She was prepared to give her life and did give her life, having performed crucial acts of service requiring immense bravery and commitment.
My father Pir Vilayat also valiantly offered his service, and only barely survived. Needless to say, neither Noor nor my father conceived the German people as their enemy; their only intention was to confront the Nazi program of systematically degrading and destroying the lives of the “other,” which for the Nazis primarily meant the Jews.
In the last years of his life, my father told me he saw a pattern repeating itself. A Jewish ethnic state had been created on lands long inhabited and cultivated by Palestinians, the latter comprising a melange of Muslims, Christians, Jews, and Druze. The state of Israel received its mandate from an empire based far away, and emerged from the trauma of the Holocaust, a heartbreaking abomination of immeasurable proportions.
Trauma needs healing, and collective healing requires the careful work of generations. What hinders and diverts a process of healing is, in the grip of a wound, to indulge in mirroring the violence and humiliation one has suffered, visiting it now on another group, and in this way perpetuating the cycle.
My father was deeply concerned that this was happening in the Holy Land, where Palestinians were becoming the outcast “other” on acres they had peacefully tended for long generations. Looking back on the Second World War, he asked me rhetorically, “Is this what we (Noor and I) fought for?”
Mind you, my father always held the Jewish people, their religion, and their culture in high regard—as he did all peoples of the world. He used to love to sing the Hebrew song “Hashi Venu,” and would listen to “Kol Nidre” in deep meditation.
The conversations in which my father expressed to me his profound concern over the plight of the Palestinians took place long before the immense devastation that is happening now—he left this world almost twenty years ago. What would my father say now? What would Noor say?
I can only say what I see. After the Holocaust the world promised, “Never again.” Never again has to mean, never again to anyone. Every people deserve their rights, and when whole rows of neighborhoods are blown to dust, it’s time to acknowledge that appalling old patterns are recurring, and it’s time—and past time—to say: this ghastly destruction, this mass wreckage of beautiful God-given lives, cannot be the way to a future that anyone would wish for. It is the opposite of healing.
Imagine a world of truly embodied universal kinship prevailing planetwide. It can begin tomorrow if we all choose it.
Yours ever, Pir Zia |
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